Aktuelle Informationen aus Steuern, Recht und Wirtschaft

— September 2022 —

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch im vergangenen Monat hat sich rund um Steuern, Recht und Betriebswirtschaft einiges getan. Über die aus unserer Sicht wichtigsten Neuregelungen und Entscheidungen halten wir Sie mit Ihren Mandanteninformationen gerne auf dem Laufenden.

Zögern Sie nicht, uns auf einzelne Punkte anzusprechen, wir beraten Sie gerne!

Arbeitsrecht

Nachweisgesetz: Neue Pflichten für Arbeitgeber

Zum 1.8. ist das „Gesetz zur Umsetzung der Arbeitsbedingungen-Richtlinie“ mit erheblichen Änderungen im Nachweisgesetz in Kraft getreten. Erweitert wurden insbesondere die Nachweis- und Informationspflichten für Arbeitgeber, die von großer Bedeutung für die Praxis sind.

 

Grund für die Änderungen ist die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungenrichtlinie“). Aufgrund neuer Arbeitsformen besteht eine größere Notwendigkeit für Mitarbeitende, umfassend, zeitnah und schriftlich in einer leicht zugänglichen Form über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen unterrichtet zu werden.

 

Wesentliche Änderungen des NachweisG

Hauptsächlich wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie durch Änderungen des Nachweisgesetzes (NachweisG) umgesetzt, aber auch andere Gesetze wie zum Beispiel das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder das Teilzeit- und Befristungsgesetz sind betroffen.

Es bleibt dabei, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich niederzulegen sind. Die elektronische Form bleibt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG ausgeschlossen.

Erstmals werden Verstöße gegen bestimmte Vorschriften des NachweisG als Ordnungswidrigkeit behandelt, die mit einer Geldbuße von jeweils bis zu 2.000 EUR geahndet werden können. Wenn also ein Unternehmen die wesentlichen Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden mit einer qualifizierten elektronischen Signatur statt in Schriftform niederlegt, kann dies zu einer Geldbuße führen.

Handlungsbedarf besteht für alle Arbeitsverhältnisse. Auch für Arbeitsverhältnisse, die begründet wurden, bevor die Änderungen des NachweisG in Kraft getreten sind, gelten die Neuregelungen. Mitarbeitende können vom Arbeitgeber verlangen, dass die im NachweisG genannten wesentlichen Arbeitsbedingungen innerhalb von einer Woche ausgehändigt werden.

 

Folgende Arbeitsbedingungen müssen zusätzlich zu den bisher in § 2 NachweisG genannten Vertragsbedingungen aufgenommen werden:

 

  • Enddatum bei befristeten Arbeitsverhältnissen
  • Sofern vereinbart: die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden ihren jeweiligen Arbeitsort frei wählen können
  • Sofern vereinbart: Dauer der Probezeit
  • Vergütung von Überstunden
  • Fälligkeit und Form der Auszahlung des Arbeitsentgelts
  • vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen
  • sofern vereinbart: Einzelheiten zur Arbeit auf Abruf
  • Möglichkeit der Anordnung von Überstunden sowie deren Voraussetzungen
  • ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • im Grundsatz: Name und Anschrift des Versorgungsträgers der betrieblichen Altersversorgung, falls eine solche gewährt wird
  • bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren (mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage)
  • Hinweis auf die anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen
  • erweiterte Dokumentationspflichten für Sachverhalte, bei denen die Mitarbeitenden z. B. länger als vier aufeinanderfolgende Wochen im Ausland arbeiten

 

Zusätzliche Änderungen bei Leiharbeitnehmenden

Auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz enthält eine wichtige Neuregelung:

Der Entleiher muss künftig dem Leiharbeitnehmenden, der ihm seit mindestens sechs Monaten überlassen ist und der ihm in Textform den Wunsch nach dem Abschluss eines Arbeitsvertrages angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitteilen.

GmbH-Gesellschafter/ -Geschäftsführer 

Zur Wirksamkeit von Steuerbescheiden nach Eröffnung der Insolvenz

Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, ausnahmsweise wirksam ergehen. Voraussetzung ist, dass sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind.

 

Hintergrund

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des W. Dieser war im Streitjahr 2014 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der M GmbH, die wiederum Alleingesellschafterin der K GmbH war. Im Dezember 2014 meldete die K GmbH Insolvenz an. Das Insolvenzverfahren wurde im Februar 2015 eröffnet. Die im Dezember 2014 beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die M GmbH wurde durch Beschluss im Februar 2015 mangels Masse abgelehnt.

Im August 2015 reichte der Kläger eine von ihm selbst sowie von W und dessen Ehefrau unterschriebene Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2014 beim Finanzamt ein. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für 2014 mit Bescheid vom 23.12.2015 erklärungsgemäß in Höhe von 28.942 EUR fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer sowie Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von 2.454 EUR. Das Finanzamt gab den Bescheid u. a. dem Kläger bekannt.

Mit seinem Einspruch machte Kläger geltend, das Finanzamt dürfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine förmlichen Bescheide mehr erlassen. Der Einspruch blieb erfolglos. Die anschließende Klage wies das Finanzgericht als unbegründet ab.

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist der Bescheid nicht nichtig. Das Finanzamt war nicht aufgrund von § 251 Abs. 2 AO i. V. m. § 87 InsO gehindert, den Einkommensteuerbescheid zu erlassen.

Steuerbescheide dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten.

 

Vielmehr ist der Steuergläubiger gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Maßgabe des Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden, um an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam.

 

Dies gilt grundsätzlich nicht für Steuerbescheide, mit denen die Steuer auf 0 EUR festgesetzt wird. Mangels Steuerschuld fehlt es an einem Vermögensanspruch gegen die Insolvenzmasse, der zur Tabelle anzumelden wäre.

 

Ebenso ausgenommen sind Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt. Denn damit hat das Finanzamt keine Insolvenzforderung, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag festgesetzt, der nicht zur Tabelle anzumelden war.

 

Ein vergleichbarer Fall liegt auch dann vor, wenn eine positive Steuer festgesetzt wird und sich – wie im Streitfall – eine Steuererstattung nur unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen ergibt. Denn damit hat das Finanzamt keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann; der Erstattungsbetrag ist nicht zur Tabelle anzumelden. Das Finanzamt ist nicht Insolvenzgläubiger i. S. des § 87 InsO.

 

Ebensowenig hat der im Streitfall in Rede stehende Einkommensteuerbescheid Auswirkungen auf Folgebescheide; auch eine Verlustfeststellung erfolgt nicht. Es ist nicht erkennbar, wieso die Insolvenzmasse insoweit schutzbedürftig sein soll. Derartige Steuerbescheide sind in Anbetracht der Schutzbedürfnisse im Insolvenzverfahren folglich nicht geeignet, die Gläubigerinteressen zu beinträchtigen.

 

Anders als der Kläger meint, wird die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters durch dieses Ergebnis nicht eingeschränkt. Begehrt er eine höhere Erstattung, kann er diese im Einspruchs- bzw. Klageverfahren gegen die Steuerfestsetzung geltend machen.

Private Immobilienbesitzer

Wenn das Haus nach Scheidung dem Expartner überlassen wird: Veräußerungsgewinn ist steuerpflichtig

Überlässt der Eigentümer einer Immobilie diese aufgrund einer Scheidungsfolgevereinbarung seinem ehemaligen Ehepartner und den gemeinsamen Kindern zur Nutzung, liegt keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken vor. Der Verkauf der Immobilie innerhalb von 10 Jahren ist deshalb steuerpflichtig.

 

Hintergrund

Die Eheleute waren je hälftige Miteigentümer eines Grundstücks. Die Ehe wurde im Jahr 2014 geschieden. Zur endgültigen Vermögensauseinandersetzung im Zusammenhang mit der Ehescheidung schloss der Ehemann mit der Ehefrau eine Scheidungsfolgevereinbarung mit Grundstücksübertragung, durch welche die Ehefrau ihren Miteigentumsanteil auf den Ehemann übertrug.

 

Im Gegenzug stellte dieser die Ehefrau von allen gemeinsamen privaten Verbindlichkeiten inklusive der Darlehensverbindlichkeiten, für die Grundschulden bestellt worden waren, frei und leistete einen zusätzlichen Ausgleichsbetrag i. H. v. 359.000 EUR. Zusätzlich bestand die Vereinbarung, dass die Ehefrau das Recht hatte, das Hausgrundstück mit den gemeinsamen Kindern mindestens bis 2018 unentgeltlich zu nutzen.

 

Der Ehemann veräußerte das Objekt im Jahr 2018 und machte geltend, dass wegen der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung an seine Kinder die Annahme eines steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns nach § 23 EStG ausgeschlossen war. Das Finanzamt ging dagegen von einem nach § 23 EStG steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang aus.

 

Entscheidung

Die Klage des Ehemanns hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt auch vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung insgesamt einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind unentgeltlich zur alleinigen Nutzung überlässt.

 

Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen. Demgegenüber ist die Überlassung an andere – auch unterhaltsberechtigte – Angehörige sowie an sonstige Personen nicht begünstigt.

 

Ebenso liegt keine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ vor, wenn nach dem Auszug des Steuerpflichtigen aus dem Familienheim eine gemeinsame Nutzungsüberlassung an nicht begünstigte Personen und einkommensteuerlich zu berücksichtigende Kinder erfolgt. Denn in dieser Konstellation erfolgt die Überlassung an die Kinder gerade nicht zur alleinigen Nutzung. Vorliegend lag daher keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken vor, da die Mitnutzung des Wohngrundstücks durch die Ehefrau die alleinige Nutzung der Kinder und somit die Selbstnutzung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen hatte.

Wertsteigerungen bei Mietkaution stehen Mieter zu

Bei einer guten Anlage der Mietkaution können bei langjährigen Mietverhältnissen sehr hohe Renditen entstehen. Diese stehen dann den Mietern zu. Eine gegenteilige Bestimmung im Mietvertrag ist unwirksam.

 

Hintergrund

Die Tochter verlangte nach dem Tod ihrer Eltern von der früheren Vermieterin der Eltern die Kursgewinne heraus, die diese mit der in Aktien angelegten Mietkaution während der Mietzeit ihrer Eltern erzielt hatte.

 

Die Eltern der Klägerin hatten im Jahr 1960 von der beklagten Wohnungsgesellschaft eine Wohnung angemietet und hierbei eine Kaution in Höhe von 800 D-Mark hinterlegt. Nach den Bestimmungen des Mietvertrages war die Vermieterin berechtigt, die Mietkaution in Aktien anzulegen. Im Mietvertrag wurde vereinbart, dass die Vermieterin bei Beendigung des Mietverhältnisses nach ihrer Wahl die Kaution in Form der angelegten Aktien herausgeben oder den Nominalbetrag von 800 D-Mark auszahlen darf.

 

Im Jahr 2005 bezogen die Eltern eine andere Wohnung der gleichen Wohnungsgesellschaft. Die hinterlegte Kaution von 800 D-Mark wurde in einem Kautionsbetrag von 409 EUR umgerechnet und auf den neuen Mietvertrag übertragen. Die Wohnungsgesellschaft ließ den Kautionsbetrag – wie schon zuvor – von einem Treuhänder verwalten, der die Kaution weiterhin in Aktien anlegte. In der Folgezeit zahlte der Treuhänder die mit der Aktienanlage erzielten Dividenden in Höhe von fast 6.000 Euro bis zum Jahre 2017 an die Mieter aus.

 

Nach dem Tod der Eltern und Beendigung des Mietverhältnisses im Jahr 2018 forderte die Tochter als Alleinerbin von der Wohnungsgesellschaft die Übertragung des Aktiendepots auf sich. Die beklagte Wohnungsgesellschaft verweigerte sich diesem Wunsch und verwies auf die Klausel des Mietvertrages, wonach sie nach ihrer Wahl statt des Aktiendepots den Nominalbetrag der Mietkaution in Höhe von 409 Euro bei Beendigung des Mietverhältnisses auszahlen kann.

 

Entscheidung

Die Klage der Tochter hatte Erfolg. Die Argumentation der Beklagten ließ das Amtsgericht nicht gelten. Denn dem Mieter stehen im Falle einer Anlage der Mietkaution gleich in welcher Form grundsätzlich die Erträge zu. § 551 Abs. 4 BGB bestimmt ausdrücklich, dass eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung unwirksam ist. Damit ist nach Auffassung des Amtsgerichts die im ursprünglichen Mietvertrag von 1960 vorgesehene Vereinbarung eines Wahlrechts der Vermieterin unwirksam.

 

Das Gegenargument der Beklagten, dass § 551 BGB zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages im Jahre 1960 noch nicht existent gewesen war, überzeugte das Amtsgericht nicht. Nach Auffassung der Richter war die Vereinbarung über die Möglichkeit der Anlage einer Mietkaution in Aktien im Jahr 1960 wahrscheinlich ohnehin rechtlich unzulässig. Nach der bis zum Jahr 2001 geltenden gesetzlichen Regelung war die Anlage einer Mietkaution auf einem üblichen Sparbuch zwingend gewesen. Dies hatte sich erst durch die Mietrechtsreform im Jahr 2001 geändert. Entscheidend für die jetzige Beurteilung der Rechtslage ist, dass die Vorschrift des § 551 BGB im Rahmen der Mietrechtsreform im Jahr 2001 in Kraft getreten und damit im Jahr 2005 bei Abschluss des 2. Mietvertrages über die neubezogene Wohnung der Eltern der Klägerin maßgeblich gewesen ist.

 

Dass diese gesetzliche Regelung für den neuen, im Jahr 2005 abgeschlossenen Mietvertrag gilt, war der Beklagten auch bewusst gewesen. Dies zeigt sich u. a. daran, dass der Treuhänder, der die Mietkaution verwaltet habe, im Auftrag der Beklagten entsprechend der neuen Gesetzeslage die mit der Aktienanlage erzielten Dividenden und sonstigen Erträge in der Folgezeit an die Eltern der Klägerin ausgezahlt hat. Im Jahr 2005 war also nach dem Willen beider Mietvertragsparteien auch die Kaution in den neuen Mietvertrag überführt und damit der zu diesem Zeitpunkt geltenden Gesetzeslage unterstellt worden.

Sonstige Steuern

Erbschaftsteuer: Befreiung auch bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims?

Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, die den Erwerber an der Selbstnutzung eines Familienheims hindern. Das gilt dann, wenn sie ihm eine selbstständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unzumutbar machen.

 

Hintergrund

Der Ehemann der A verstarb 2017. Er wurde von A und seinen Kindern beerbt. Zum Nachlass gehörte das hälftige Miteigentum an einem Einfamilienhaus, das A und ihr Ehemann gemeinsam bewohnt hatten. Aufgrund eines Vermächtnisses zugunsten der A übereignete die Erbengemeinschaft ihr diesen Miteigentumsanteil. A nutzte das Haus zunächst weiterhin selbst. Anfang 2018 erwarb sie eine noch zu errichtende Eigentumswohnung am selben Ort. Ende 2018 veräußerte sie das Einfamilienhaus und meldete sich im April 2019 in die Eigentumswohnung um.

 

Das Finanzamt lehnte die Steuerbefreiung im Rahmen der Erbschaftsteuer für ein Familienheim wegen Aufgabe der Selbstnutzung innerhalb des 10-Jahres-Zeitraums ab.

A machte geltend, dass sie das Haus wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechterte, auf ärztlichen Rat verlassen. Nach einer ärztlichen Stellungnahme vom September 2019 ließ die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses psychische Folgeschäden erwarten. Das Finanzgericht war jedoch der Ansicht, dass es keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben hatte. Denn A war die Führung eines Haushalts nicht schlechthin unmöglich gewesen. Das Finanzgericht wies deshalb die Klage ab.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück.

Der Erwerber ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn diese ihm unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar wird.

Die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims fällt mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert. Die Befreiungsvorschrift ist eng auszulegen. Das gilt auch für die Rückausnahme von der Nachversteuerung.

 

Die Hinderungsgründe müssen sich auf die Selbstnutzung des vorliegenden Familienheims beziehen. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist nicht entscheidend. Die Meinung, dass die Steuerbegünstigung auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Erwerber ausziehen und in einer anderen Wohnung einen Haushalt führen könnte, bzw. die Unmöglichkeit, selbstständig einen Haushalt zu führen, müsste sich auf das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin beziehen, weist der Bundesfinanzhof zurück. Das widerspräche der Zielrichtung der Regelung, das Familiengebrauchsvermögen zu erhalten und den gemeinsamen familiären Lebensraum zu schützen.

 

Der Erwerber ist aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken jedenfalls dann gehindert, wenn ihm dies unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich ist. Zwingende Gründe sind jedoch nicht auf die Fälle der Unmöglichkeit beschränkt. Vielmehr ist es auch ausreichend, wenn dem Erwerber aus objektiven Gründen die Selbstnutzung des Familienheims nicht mehr zuzumuten ist. Das können gesundheitliche Grüne sein, wenn der Erwerber im Fall der weiteren Selbstnutzung des Familienheims eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands zu gewärtigen hat, die ein weiteres Verbleibendort unmöglich macht.

 

Die Feststellungslast für die Umstände, die die Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder objektiv unzumutbar erscheinen lassen, trägt der Erwerber. Ob eine Erkrankung vorliegt, die dazu führt, dass die Unzumutbarkeitsschwelle überschritten wird, kann regelmäßig allein anhand ärztlicher Begutachtung festgestellt werden. Dabei ist auch festzustellen, ob eine etwaige Erkrankung erst nach gewisser Zeit der Nutzung aufgetreten oder ihre Schwere manifest geworden ist.

 

Das Finanzgericht hat nun konkret festzustellen, ob die Erkrankung tatsächlich bestand und so beschaffen war, dass sie der A die weitere Selbstnutzung des Familienheims unzumutbar machte. Dies ist unter Mitwirkung der A nachzuholen.

Steuerrecht Unternehmer

Vorsteuerabzug ausnahmsweise auch ohne ordnungsgemäße Rechnung

Liegt keine ordnungsgemäße Rechnung vor, ist in der Regel der Vorsteuerabzug in Gefahr. Ausnahmsweise kann jedoch der Vorsteuerabzug auch ohne das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind.

 

Hintergrund

Die Klägerin, eine in Asien tätige Rohstoffhändlerin, tätigte erstmals und einmalig im Jahr 2018 ein in Deutschland steuerbares Geschäft mit der Lieferantin B Ltd. und mit der Abnehmerin D über den Verkauf von Gas. Die Klägerin stellte der Abnehmerin D Umsatzsteuer von 896.933 EUR in Rechnung. Dagegen wies die Rechnung der B Ltd. an die Klägerin vom 12.12.2018 nur den Nettobetrag aus. Ein Umsatzsteuerausweis war nicht erfolgt, da beide Vertragsparteien irrtümlich zunächst von einem umsatzsteuerfreien Umsatzsteuerlager ausgegangen waren. Am 23.1.2019 erstellte die B Ltd. eine korrigierte Rechnung an die Klägerin mit erstmaligem Ausweis von Umsatzsteuer von 912.082 EUR.

 

Die Vorsteuer von 912.082 EUR machte die Klägerin erstmals in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019 geltend und beantragte die Verrechnung mit der Umsatzsteuer für 2018 von 890.163 EUR. Das Finanzamt lehnte die beantragte Verrechnung ab. Da die im Ausland ansässige Klägerin für 2019 keine inländischen Umsätze erzielt hatte, konnte der Vorsteuerabzug für 2019 nicht im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend gemacht werden. Auch eine Erstattung im Vorsteuervergütungsverfahren kam nicht in Betracht, da nach Ansicht des Finanzamts keine Gegenseitigkeit gegeben war.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht entschied, dass der Klägerin der Vorsteuerabzug bereits für das Jahr 2018 zustand. Die Klägerin ist für das Jahr 2018 im Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG zu veranlagen. Für den Veranlagungszeitraum 2019, in dem erstmals eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung mit Umsatzsteuerausweis vorlag, wäre das besondere Vergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG anstatt der Regelbesteuerung anzuwenden gewesen. Jedoch wäre die Vorsteuervergütung ausgeschlossen, da die Klägerin in einem Staat ansässig ist, in dem die Gegenseitigkeit der Vorsteuervergütung nicht gegeben ist.

 

Das Vorsteuervergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG findet für 2018 keine Anwendung, da die Klägerin mit der Gaslieferung an D im September 2018 eine im Inland steuerbare Lieferung ausgeführt hat. Im Gegensatz zum besonderen Vergütungsverfahren ist das oben genannte Gegenseitigkeitserfordernis in dem im vorliegenden Fall anzuwendenden Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG nicht anwendbar. Ein Unternehmer kann den Vorsteuerabzug grundsätzlich erst geltend machen, wenn er in Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist. Die ursprüngliche Rechnung der B Ltd. vom 12.12.2018 ohne gesondertem Umsatzsteuerausweis berechtigte danach die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug.

 

Vorliegend ist der Vorsteuerabzug aus der Lieferung der B Ltd. jedoch auch ohne ordnungsgemäße Rechnung möglich. Ausnahmsweise kann aufgrund des Grundprinzips der Neutralität der Mehrwertsteuer der Vorsteuerabzug ohne Erfüllung der formellen Anforderungen gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Diese waren hier gegeben, da die umsatzsteuerbelastete Eingangsleistung für die Erbringung einer steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsleistung verwendet worden ist. Insoweit ließ sich der Umfang der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin bereits aufgrund der im Jahr 2018 vorliegenden Unterlagen ermitteln.

 

Die zunächst fehlerhafte Rechnung ist zudem durch die berichtigten Rechnungen vom 23.1.2019 mit Rückwirkung geheilt worden. Somit war die Klägerin auch deshalb im Streitjahr 2018 zum Vorsteuerabzug berechtigt. Wird eine zunächst nicht den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG entsprechende ausgestellte Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, ist das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum auszuüben, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. Allerdings wäre nach den Kriterien der BFH-Rechtsprechung eine Rückwirkung der Rechnung nicht möglich, weil diese in hohem Maße fehlerhaft war (u. a. kein Umsatzsteuerausweis, mangelhafte Leistungsbeschreibung).

 

Der am 23.1.2019 berichtigten Rechnung kommt aber aufgrund der besonderen Konstellation des Streitfalls und abweichend von der Rechtsprechung des BFH eine Rückwirkung für den Besteuerungszeitraum 2018 zu. Schließlich ist es nicht sachgerecht, im Streitfall die Rückwirkung zu verneinen, da dies zu einem endgültigen Versagen des Vorsteuerabzugs führen würde. Vorliegend gingen die Vertragspartner zunächst von der Anwendung der Umsatzsteuerlager-Regelung des § 4 Abs. 4a UStG aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass B Ltd. die Rechnungen bereits im Januar 2019 berichtigt hat. Damit wurde die Korrektur zwar erst nach Ablauf des Besteuerungszeitraums vorgenommen, jedoch zu einem so frühen Zeitpunkt, dass bei Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuererklärung für 2018 feststand, dass und in welchem Umfang die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, den Vorsteuerabzug endgültig allein an dem formellen Kriterium scheitern zu lassen, dass die Rechnung erst im Januar 2019 vorgelegen hat.